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Silvester-Tradition Bleigießen - keine Zukunft für Blei

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Bleigießen - Tradition und Verbot

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In vielen Familien gehört das Bleigieß-Orakel zum Jahreswechsel genauso dazu wie das Abfeuern von Raketen. Das Prinzip ist einfach: Ein Bleistück wird auf einem Löffel über einer Flamme zum Schmelzen gebracht. Das flüssige Blei wird in kaltes Wasser gekippt, wo es augenblicklich erstarrt. Die dabei entstandenen - teils bizarr aussehenden - Formen werden anschließend gedeutet.
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Seit April 2018 greift die Richtlinie der European Chemicals Agency (ECHA). In ihr wurden neue Grenzwerte für Blei in Produkten festgelegt. So darf ein Wert von 0,3 Prozent Blei nicht überschritten werden. Laut Stiftung Warentest weisen die herkömmlichen Bleigieß-Sets jedoch einen Bleigehalt von bis zu 71 Prozent auf. Dies ist laut EU zu gefährlich, weshalb die Sets seit April nicht mehr verkauft werden dürfen. Das diesjährige Silvesterfest wird also zum ersten Mal ohne Bleigießen stattfinden. 
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Die genaue Herkunft des Bleigießens ist nicht bekannt. Jedoch benutzten schon die alten Römer Blei zur Bleiverhüttung. Teils wird die Tradition den Babyloniern, teils den Griechen zugeschrieben. Ursprünglich handelte es sich dabei jedoch nicht um einen Blick auf das kommende Jahr. Vielmehr sollte es als Vorhersage für Glück oder Verlust bei Feldzügen und Ernten dienen. Im Mittelalter wurde Blei gegossen, um Aufschluss über den Verlauf einer Krankheit zu erlangen.
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Heutzutage wird die Deutung der erstarrten Figuren nicht mehr sonderlich ernst genommen. Die Formen und ihre Bedeutung lassen unendlichen Raum für Interpretationen. So bedeutet ein Apfel beispielsweise „Treue Freundschaft“ oder ein Igel „Eifersucht“.
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Risiko Blei

Beim Erhitzen der Bleifiguren entstehen giftige Bleioxide, die über die Atmung aufgenommen werden. Auch der Kontakt durch Anfassen mit den Händen ist gefährlich, wenn man etwa das gegossene Bleistück aus dem Wasser nimmt und danach ohne Händewaschen zum Beispiel in die Chipsdose fasst. 
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Dr. Rainer Wollseifen, Diplom Chemiker bei Macherey Nagel, Fachgebiet Analytikerklärt, was Blei so gefährlich macht: "Blei reichert sich selbst bei Aufnahme sehr kleiner Mengen im Körper an und führt dabei zu chronischen Vergiftungen. Dies liegt daran, dass Blei schwer lösliche Salze bildet und im Körper beispielsweise anstelle von Calcium eingelagert wird."
Eine zu hohe Aufnahme von Blei kann zu einer Schädigung des zentralen Nervensystems führen. Insbesondere bei Kindern und Schwangeren ist Vorsicht geboten. Schon eine geringe Menge kann die Intelligenzentwicklung von ungeborenen Kindern im Fötus der Mutter beeinflussen. 
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Gefährlich, also stark toxisch, ist Blei in seiner gelösten Form, in Bleiverbindungen und Bleistäuben,  Besonders toxisch sind Organobleiverbindungen wie Tetraethylblei. Dies wurde Ottokraftstoffen früher als Antiklopfmittel zugesetzt, um die Klopfneigung des Motors herabzusetzen und so eine unkontrollierte Selbstentzündung von Benzin im Zylinder zu verhindern. "Allgemein sind organische Schwermetallverbindungen für den Menschen noch gefährlicher, da sie lipophil sind und damit leicht über die Haut aufgenommen werden können", so Wollseifen.
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Ein Schwermetall ist per Definition ein metallisches Element, dessen Dichte größer als 5 g/m³. Blei hat eine Dichte von 11,34 g/m³ und zählt somit dazu. Schwermetalle wie Blei begünstigen die Bildung freier Radikale. Das sind hochgradig reaktive Moleküle, Atome oder Ionen, die Zellen und Gewebe schädigen, die Enzymaktivität beeinflussen und so wichtige Stoffwechselprozesse blockieren.
Neben Blei zählen Quecksilber, Cadmium und Arsen zu den besonders gefährlichen Schwermetallen.
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Beeinflussung der Umwelt

Der Straßenverkehr ist heute immer noch die größte Emissionsquelle für Blei, obwohl seit 1997 Benzin bleifrei sein muss. Durch den Abrieb von Bremsen und Reifen gelangt Blei in die Luft. Neben Blei gelangen noch andere Schwermetalle wie Arsen, Cadmium oder Quecksilber in die Luft, die durch den Luftstrom weitertransportiert werden, bevor diese in Form von Feinstaub auf der Erdoberfläche niederschlagen. Katharine Odijk vom Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt Rhein-Ruhr-Wupper: "Wir sind selbst Einträger von Schwermetallen durch Industrie und Auto".

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Laut dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL)  "gelangen Schwermetalle unter anderem in die Umwelt durch bestimmte industrielle Verfahren, den Autoverkehr, durch das Ausbringen von Klärschlamm und durch die Anwendung bestimmter Pflanzenschutzmittel auf landwirtschaftlich genutzten Flächen". Von dort aus gelangen sie über die Pflanzen oder das Fleisch von Weidetieren in Lebensmittel und somit auch in unsere Nahrungskette. „Grundsätzlich führt ein einseitiger Eintrag beispielsweise über die Luft mittel- bis langfristig über Niederschläge usw. zu einem Eintrag in die gesamte Umwelt. Damit besteht immer ein großes Risiko der Kontamination von Futtermitteln und Nahrungsmitteln für Mensch und Tier“, so erklärt Rainer Wollseifen.

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Um hohe Erträge in der Landwirtschaft erzielen zu können, wird Düngemittel eingesetzt. Dieses enthält jedoch Schwermetalle, die sich bei intensiver Düngung im Boden anreichern. Von dort aus gelangen diese über Pflanzen in die Nahrungskette und ins Grundwasser. "Hier versucht man gegenzusteuern, sodass Pflanzenschutz- und Düngemittel möglichst arm an Schwermetallen sind", so Katharine Odjik. Ein hoher pH-Wert im Boden senkt die Mobilität der Schwermetalle. Dadurch können sich diese nur erschwert in den Pflanzen ansammeln. Empfohlen wird ein pH-Wert von 7,2.

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Belastung in Lebensmitteln

Das Hauptproblem: Quecksilber. Fische und Meeresfrüchte speichern viele Giftstoffe, da sie das Wasser, in dem sie leben, „atmen“.
Wie stark ein Fisch belastet ist, ist abhängig von der Stellung in der Nahrungskette, dem Fanggebiet und dem Lebensalter. Über die Hälfte des weltweiten Fischfangs wird in Form von Fischmehl an Nutztiere verfüttert, deren Fleisch für den menschlichen Verzehr bestimmt ist und somit in die Nahrungskette des Menschen gelangt.
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Die Aufnahme von Quecksilber erfolgt über den Magen-Darm-Trakt, die Lunge oder die Haut. Das Quecksilber verteilt sich im Körper und gelangt über das Blut zu allen Organen. Hauptsächlich wird das zentrale Nervensystem angegriffen, da bestimmte Zellen im Nervensystem sehr empfindlich auf Quecksilber reagieren. Risikogruppen sind Schwangere, Stillende und Neugeborene.
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Besonders bei Waldpilzen ist Vorsicht geboten. Quecksilber, aber auch Cadmium,  können Pilze durch ihr großes Wurzelgeflecht aufnehmen  und im Fruchtkörper anreichern. 
Laut Bundesumweltministerium sollte man nicht mehr als 250 Gramm selbstgesammelter Waldpilze pro Woche verzehren.
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Auch im menschlichen Körper reichert sich Cadmium an und wird nur langsam über Niere und Darm wieder ausgeschieden. Hauptsächlich kommt es zu Nieren- und Knochenschädigung. Da Cadmium eine höhere Toxizität besitzt als angenommen, plant die EU-Kommission Absenkung der Höchstgehalte.
Cadmium ist, neben Pilzen, unter anderem in Salat und Spinat sowie in Nüssen und Samen enthalten. Meeresfrüchte wie Muscheln und Krebstiere sind auch mit Cadmium kontaminiert. Zudem ist das giftige Schwermetall im Tabakrauch vorhanden.
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Auch Getreide nimmt Schwermetalle über die Wurzeln auf und speichert die Schadstoffe in den Randschichten des Korns. Weizen beispielsweise reichert Cadmium relativ gut an. "Bei Reis steht Arsen im Fokus", erklärt Katharine Odjik. Vollkornreis ist meist mehr belastet als weißer Reis. Ein häufiger Grund für die starke Belastung ist die Grundwasserqualität, da Reis sehr viel Wasser benötigt und darüber das Arsen aufnimmt.

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Das Halbmetall Arsen kann in organischer und anorganischer Form vorliegen. Organisches Arsen ist unproblematisch für den menschlichen Organismus, wohingegen anorganisches Arsen bereits in kleinen Mengen krebsfördernd ist. Bei regelmäßiger Aufnahme von Arsen kann es zu Gefäß- und Nervenschädigungen kommen, sowie Herzkreislauferkrankungen, Diabetes und Entwicklungsstörungen.
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Wenn Wasser eine längere Zeit nicht fließt, kann es unter Umständen die Inhaltsstoffe des Materials der Leitungsrohre und metallische Korrosionsprodukte aufnehmen. Dadurch kann die Trinkwasserqualität innerhalb von wenigen Stunden sinken. 
In einigen Teilen von Deutschland gibt es bis heute noch Trinkwasserrohre aus Blei, welche besonders gefährlich für Säuglinge und Kleinkinder sind. 
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Das BVL führt jährliche Monitoringprogrammefür Lebensmittel, Kosmetik und Bedarfsgegenstände durch. Monitoring ist ein systematisches Mess- und Beobachtungsprogramm von Bund und Länder. Bei Lebensmittel wird eine Bestimmung von Schwermetallen mit Hilfe einer Massenspektrometrie durchgeführt. Bei diesem Verfahren werden Teilchen ionisiert und anschließend durch elektrische und magnetische Felder nach ihrer Masse und Ladung getrennt. Selbst Schwermetalle in geringer Konzentration können so nachgewiesen werden.
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Nach dem BVL sind "Schwermetalle natürliche Bestandteile der Erdkruste, einige sind sogar lebensnotwendige Bestandteile unserer Nahrung. Hierzu zählen Zink, Eisen, Mangan und Kupfer".
Beispielsweise kann eine zu geringe Aufnahme von Zink Appetitlosigkeit, verminderte Wundheilung und generell eine Schwächung des Immunsystems verursachen. Zink ist an vielen Stoffwechselprozessen beteiligt und somit unverzichtbar für unsere Gesundheit.
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Diplom Chemiker Dr. Rainer Wollseifen auf die Frage, wie er das Bleigießen Verbot einschätzt:  "Sofern Probleme, beziehungsweise gesundheitliche Risiken bekannt sind, sollte man versuchen diese zu minimieren. Daher ist es in meinen Augen sinnvoll, sich diesem Thema zu stellen. Über den festgelegten Grenzwert kann man diskutieren, allerdings würde dies ein Verbot nur hinauszögern und die Suche nach alternativen Materialien, um weiterhin das Bleigießen an Silvester zu ermöglichen, nur verzögern". Auch wenn das Gesetz belanglos erscheinen mag, ist jede noch so kleine Vermeidung von Schwermetallen für Mensch und Umwelt von Bedeutung. So ist es definitiv vernünftig dem Bleigießen-Brauch den Rücken zu zukehren. 


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Wer trotzdem nicht auf die Orakeltradition verzichten möchte, kann Alternativen verwenden. Wachs- und Zinngießen funktioniert vom Prinzip her genauso, nur ohne das schädliche Blei. Das Wachs ist sogar silbern gefärbt, jedoch sind die Figuren am Ende deutlich zerbrechlicher und lassen sich nicht so gut aus dem Wasser nehmen. Zinn eignet sich hierfür besser und hat bereits im Handel die Bleigieß-Sets ersetzt.
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Eine studentische Multimedia-Reportage der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg für technikjournal.de
von Alessa Toth und Katharina Rieger

Redaktion
Prof. Dr. Susanne Keil
Sabine Fricke

Bild, Ton und Videonachweise

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